Zur Entstehung

Der Weg der Erinnerung soll an den Weg der Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge von der Verladerampe bis zum Eingang des Kriegsgefangenenlagers bzw. des Konzentrationslager Bergen-Belsen erinnern und diesen sichtbar machen. 

Zwischen 1940 und 1945 kamen hier Deportationszüge mit Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen für das Lager Bergen-Belsen an. Nach langer Fahrt in verriegelten Waggons wurden sie den etwa 6 km langen Weg unter Gewaltandrohung durch die SS ins Lager getrieben. In den verschiedenen Lagerteilen fanden über 70.000 Menschen den Tod, die als Kriegsgefangene, Juden, politische Gegner, Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas oder als vermeintliche „Asoziale“ bzw. „Kriminelle“ verfolgt wurden.

Heute verbindet der Weg den Gedenkort Verladerampe in Bergen über die Ortschaft Belsen vorbei an den Kasernen, Wald und Feldern mit dem Teil der Gedenkstätte Bergen-Belsen, an dem der ehemalige Lagereingang zu finden war.

Die Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen e.V. (AG Bergen-Belsen) und das
Anne-Frank Haus Oldau haben seit 2007 im Rahmen von Internationalen Jugend-Workcamps des Landesjugendring Niedersachsen e.V. und der Gedenkstätte Bergen-Belsen den Weg gestaltet. Jugendliche haben auf dem Radweg, der parallel zur Straße verläuft, die weiße Linie und Zitate überlebender Personen aufgebracht. In den folgenden Jahren wurde an diesem Projekt weitergearbeitet und Texte ergänzt.

Neugestaltung

Jugendliche aus Bergen und den umliegenden Dörfern haben im Jahr 2020 begonnen den Weg aufzuarbeiten und sich der Frage gestellt, wie der Weg der Erinnerung heutzutage neugestaltet werden kann. Welche Informationen wichtig sind, was sie auch selbst gerne weitergeben wollen würden, z.B. an Freunde und Familie mit dem sie diesen Weg gehen und welche Medien zeitgemäß sind. Ergänzt wurde die weiße Linie an markanten Punkten mit Informationstafeln, hinter denen sich auf den QR-Codes noch weitere Informationen und Zeitzeug*innenperspektiven befinden. 

Wir laden Sie ein mit uns den Weg zu gehen!

Erinnerungsarbeit verändert sich. Zeitzeug*innen versterben und können ihre Lebensgeschichte nicht mehr erzählen.  Anfechtungen nehmen zu. Diesem stellen sich die Jugendlichen in verschiedenen Projekten. Finden eigene Positionen, bilden eine Meinung aus und hinterfragen unterschiedliche Perspektiven. Sie nehmen die Herausforderung an, dass Erinnerungsarbeit nicht nur eine Arbeit einer Generation ist, sondern weitergegeben werden muss, sich verändern und Schritt für Schritt wachsen darf. So wie dieses Projekt sich mit der Zeit verändert und wandelt. Angelegt ist eine dauerhafte Fortführung des Projekts, die das Erproben neuer Medien beinhaltet.

Bildquelle: Ev.Jugend Bergen 2020
Bildquelle: AG Bergen Belsen, Internationales Jugendworkcamp
Bildquelle: AG Bergen Belsen, Internationales Jugendworkcamp

1. Station

Rampe

Bildquelle: AG Bergen Belsen 2019

Die „Rampe“ wurde 1936 als Zubringer für den Truppenübungsplatz (TrÜbPl) gebaut. In den Jahren 1940 – 1945 wurde die Rampe zur Ankunft der Züge mit Kriegsgefangenen (vor allem aus der Sowjetunion) und KZ-Häftlingen genutzt. Von hier aus wurden sie zu Fuß in das Kriegsgefangenen- bzw. Konzentrationslager Bergen-Belsen getrieben.
Kurz vor der Befreiung durch britische Soldaten am 15.April 1945 wurden noch mehrere Tausend Häftlinge aus dem KZ Bergen-Belsen in großen Gruppen auf diesem Weg vom Lager wieder zurück zur Rampe getrieben. Sie wurden von hier mit 3 Zügen, eng eingepfercht auf eine Reise geschickt, deren Ziel sie nicht kannten. Ein Zug wurde bei Farsleben von amerikanischen Truppen befreit, ein zweiter bei Tröbitz von der Roten Armee. Der dritte Zug gelangte in das KZ Theresienstadt.
Noch heute werden hier Panzer, die zu militärischen Übungen auf den TrÜbPl fahren, verladen.

Hannah Goslar
Anne Franks Freundin, wurde am 15. Feb. 1944 von Westerbork nach Bergen-Belsen geschickt.

Sie berichtet:
„Die Reise dauerte zwei oder drei Tage bis wir in Bergen-Belsen ankamen. Ich weiß nicht, ob ich sofort wusste, was es bedeutete, in einem Konzentrationslager zu sein, aber ich sehe es noch vor mir, wie bei unserer Ankunft ein deutscher Soldat neben dem anderen stand, mit großen Hunden daneben. 
Ich habe bis heute noch Angst vor Hunden.“

(Lindwer, Willy: Anne Frank. Die letzten sieben Monate Augenzeuginnen berichten, S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1993.)

„Im strömenden Regen und in der Kälte mußten wir gehen. Wir drängten uns dicht aneinander, zwei Pferdedecken über zwei magere Mädchen gelegt. Ich sehe uns noch gehen, die paar Kilometer zum Lager Bergen-Belsen. Und es regnete und stürmte und hagelte. Endlich kamen wir in das Lager auf der Heide. Da kam noch ein graues Häufchen auf uns zu, und wir warfen die Decken ab und riefen: „Oh, ihr seid auch da!“ Das waren Anne und Margot Frank.“

(Lindwer, Willy: Anne Frank. Die letzten sieben Monate Augenzeuginnen berichten, S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1993.)

Die Evakuierungszüge. Der Weg vom Lager zurück zur Rampe.

„Im Todeszug“ „Am 9. April 1945 wurden wir zum Bahnhof geführt und in einen langen Zug mit Viehwaggons verfrachtet. Ich weiß nicht, wie wir die 5-6 Kilometer zur Eisenbahn-Verladeplattform nach Belsen schafften. Vielleicht hat Papa mich getragen. Albert und Mama trugen jeder einen Rucksack mit den wichtigsten Dingen: ein Knust Brot oder eine rohe Rübe, wertvolle Dokumente, Familienfotos, Briefe und Andenken und Rezepte.“

(Blumenthal-Lazan, Marion; Perl, Lila: Vier kleine Kiesel, Verein Heimatmuseum Grafschaft Hoya, Hoya 1996)

2. Station

Dorf Belsen

Bildquelle: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Bergen-Belsen Bildertagebuch von Zsuzsa Merenyi

Die Gefangenen kamen auf ihrem qualvollen Weg zum Lager durch das Dorf Belsen. Wenn die Häftlingskolonnen durchkamen, wurde die Straße mit Schlagbäumen für Fuhrwerke gesperrt. Manchmal bogen die Kolonnen in Belsen ab und wurden auf dem sog. Mastenweg durch den Wald parallel zur Landstraße zum KZ Bergen-Belsen geführt.

„Furchteinflößende menschliche Schatten zogen stumm, langsam, auf unbekannter Straße dahin. Dorfbewohner, Frauen in sehr netten Sommerkleidern, Radfahrer und Fußgänger, alle gut gekleidet, gepflegt, ausgeruht, mit der Ruhe einer normalen Lebensführung im Gesicht, hielten einen Augenblick an, um uns neugierig anzustarren. Und die zahlreichen Soldaten begleiteten uns, ohne je das Gewehr aus der Hand zu legen, teilten entlang der ganzen Kolonne Stockschläge an jeden aus, der sich umwandte oder ein wenig zurückzubleiben wagte.“

(Geisel Eicke (Hrsg); Lévy-Hass, Hanna: Vielleicht war das alles erst der Anfang. Rotbuch Verlag Berlin, Berlin1991)

„Die 5 km zum Lager mussten wir laufen. Wir kommen durch prächtige Nadelwälder, entlang gepflügter Felder. Es nieselt und der Asphalt beginnt zu glänzen. An den Büschen warten pralle Knospen auf die wärmende Sonne. Der Wind ist wie zu Hause, und er trägt den Duft vom Frühling. 
Wird es denn wieder einen Frühling hinter Stacheldraht für uns geben? 
Werde ich wieder keine Blumen, keine blühenden Bäume, sonnige Kornfelder sehen?“
 

(Laqueur, Renata: Bergen-Belsen Tagebuch 1944/1945, Fackelträger 1983)

3. Station

Kasernen

Bildquelle: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Bergen-Belsen

Die Kasernen gehören zum Truppenübungsplatz, der ab 1935 in Vorbereitung auf den Angriffskrieg gebaut wurde und zunächst für Wehrmachtssoldaten genutzt wurde. In der letzten Woche vor der Befreiung wurden hier in einem Teil der Kasernen noch Häftlinge des KZ Bergen-Belsen untergebracht. Nach der Befreiung dienten die Kasernen als Unterkünfte für polnische bzw. jüdische Displaced Persons. Nach der Befreiung starben noch etwa 13.000 ehemalige Gefangene an den Folgen ihrer Gefangenschaft. Heute werden sie größtenteils als Unterkünfte der NATO-Truppen in Zusammenhang mit dem Truppenübungsplatz genutzt. Ein Teil wird seit dem Jahr 2020 für eine Ausstellung der Gedenkstätte Bergen-Belsen genutzt. MB 89 bedeutet Mannschaftsbaracke Nr. 89.

Renata Laqueur
Der Weg von der Rampe zum Lager am 16. März 1944

„Wir passieren große, graue Gebäude: Kasernen. Immer wieder diese eintönigen Kästen, und doch hoffen wir, sie möchten für uns bestimmt sein. Sehnsüchtig schauen wir zu den gepflegten Grasflächen zwischen den Blocks. Überall Wegweiser: „Zum Kriegsgefangenenlager“. Behandeln sie uns hier wie Kriegsgefangene, werden wir wie diese untergebracht?“

Die Evakuierungszüge, Der Weg vom Lager zurück zur Rampe 10. April 1945

„Das Verladen von 2500 Menschen, die kaum in der Lage waren, die 50 Meter zu den Lastwagen zu laufen, die sie die 5 km zur Rampe bringen sollten, dauerte beinah 36 Stunden! Mehr als einmal sackte ich auf dem Weg zum Auto zusammen, die Beine wollten mich nicht tragen, vor meinen Augen begann sich alles zu drehen…
Draußen schien eine weiche Aprilsonne, die SS-Männer trugen Sommermützen. Der Himmel über den Wachtürmen war fast weiß. Es war warm. Frühling 1945.
Auf der Plattform eines Lastwagens, zwischen Kindern, Beinen und Gepäck sitzend, glitt die Umgebung an mir vorbei: Knospende Birken wiegten sich im Wind, dunkelgrüne Baracken und ein Fußballfeld mit makellos weißen Torstangen, graue Kasernen, graue Uniformen und sattgrüne Kiefern zogen vor meinen Augen vorbei. 
Tausende von Leichen lagen entlang des Weges, die graugrünen verwesenden Köpfe lagen nach hintenüber gebeugt, die gebrochenen Augen weit geöffnet. Verknöcherte Beine schauten aus schwarzweiß gestreiften Häftlingshosen.“ 

(Laqueur, Renata: Bergen-Belsen Tagebuch 1944/1945, Fackelträger 1983) 

4. Station

ehemaliger
Lagereingang

Bildquelle: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Bergen-Belsen Bildertagebuch von Zsuzsa Merenyi

Auf der gegenüberliegenden Seite war früher der Eingang ins Lager. Dort wurden die Gefangenen ins Lager geführt und an die SS übergeben. Im vorderen Bereich war die Verwaltung der SS, so dass man von der Straße aus nicht in den inneren Teil des Lagers sehen konnte. Es bestand aus verschiedenen Teillagern mit jeweils unterschiedlichen Lebensbedingungen.
Renata Laqueur gehörte zu den jüdischen Häftlingen, die von Bergen-Belsen aus gegen im westlichen Ausland internierte Deutsche ausgetauscht werden sollten. In ihrem Gepäck hatte Renata Laqueur mehrere Schreibhefte mitbringen können, die sie dafür nutzte, in Bergen-Belsen heimlich ein Tagebuch zu führen.

„Eine große weiße Tafel „SS-Lager des SS-Totenkopfregiments“, ein schwarz-weiß-rot gestreiftes Schilderhäuschen. Der Posten, mit dem Gewehr im Anschlag, lässt den rotweiß gestreiften Schlagbaum öffnen: Wir betreten das Lager. Dunkelgrün ist alles und grau, Lagertore mit Scheinwerfern, Wachtürme mit Bewaffneten, ringsum Stacheldraht und Absperrungen. Ich bin ohne Hoffnung.“

 „Jetzt liege ich in meinem Bett. Ich sehe aus dem Fenster: Stacheldraht und das grüne Toilettenhäuschen der SS, dahinter feuchtglänzende, schlanke Kiefern. Der Himmel ist dunstig, blaugrau und durch das Fenster kriecht der würzige Duft von Kiefernnadeln und frisch gepflügtem Ackerboden. Die Umgebung hier muss wohl herrlich sein. Sollten wir später einmal über die Heide gehen können, ohne stets diese grünen oder braunen Baracken als Vorposten eines Lagers sehen zu müssen? 
Was geschieht nach dem Krieg mit diesen Lagern, die doch alle immer gleich aussehen?
Was macht man mit Baracken, Waschhäusern, Bettgestellen, Wachtürmen, Scheinwerfern, Stacheldraht und …Kohlsuppe? 
Wirkliche Rachsucht verspüre ich eigentlich nicht. Brecht diese Lager ab und lehrt die Menschen zu leben, statt zu befehlen, zu treten, zu schießen.“
 

(Laqueur, Renata: Bergen-Belsen Tagebuch 1944/1945, Fackelträger 1983)